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34. Jahrgang InternetAusgabe 2000
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Imhoff 

 

Lorenz Jäger in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Mai 1998:

Komödie der Weisheit

1968 als Kunst: Hans Imhoff, ein deutscher Aristophanes

 Ein imaginärer Beobachter aus einem fernen Land hätte 1968 meinen können, an der Entstehung einer Sprache teilzunehmen. Eine plötzliche Lust am Reden breitete sich aus, neue Begriffe, nicht unbedingt schöne – aber kommt es darauf an, wo sie so viel versprechen? –, und alte ideologische Formeln, wie Schätze aus dem Plunder ausgegraben, ein neuer Rhythmus, eine neue Melodie der Sätze, selbst eine neue Intonation – wer Rudi Dutschke und Hans Jürgen Krahl hörte, bemerkte, selbst wenn er nichts von alledem verstand, was da behauptet und gewollt wurde, doch so viel: daß hier neue Klänge zu hören waren. Die Dramaturgie für das Gesamtkunstwerk ‘68 stammte aus der Fluxus-Bewegung, aus dem, was vom Situationismus und den holländischen Provos bekannt wurde.

 Freilich: Der Kunstcharakter wurde von den Protagonisten bald verleugnet, wenn er überhaupt jemals klar gesehen worden war. Nur einen gab es in den aktionsreichen Jahren, der die Impulse der Zeit zu einer durchdachten Ästhetik umbildete: den Frankfurter Hans Imhoff, der bei Adorno studierte. Imhoff gab seinen Aktionen einen unverwechselbaren künstlerischen Akzent, für den er bald berühmt-berüchtigt wurde. »Monatelang«, so schrieb damals ein marxistischer Kritiker der strengen Observanz, »hatten sich bürgerliche Feuilleton-Schreiber an ihm ergötzt«. So war es in der Tat. Der Saarländische Rundfunk glaubte im November 1968, Imhoff sei es mit seinen Aktionen gelungen, »so populär zu werden wie die meisten Dichter hierzulande es zeitlebens nur erträumen«. Selbst als sich der Aktionist im Herbst 1968 entschloß, die Verleihung des Büchner-Preises nicht zu stören, war dies der Presse eine Meldung wert. Im Februar 1939 geboren, war Imhoff 1968 nicht mehr naiv genug, um an die politischen Ziele der Bewegung schlicht zu glauben.


Die Menschen werden nicht gesunden,
Ein Sommer ist uns jetzt verstattet,
Die Wolken, einzeln, leicht verbunden,
Sind höchst vollkommen weiß beschattet.
 

 Er nahm an dem allgemeinen Aufbruch teil, aber als Individuum mit eigenen, signierten Publikationen, die die Theoriesprache der Achtundsechziger und der Kritischen Theorie imitierten, karikierten und überboten, um sie für eigene Zwecke umzufunktionieren. Seine Flugblätter waren mit gelehrten, anspielungsreichen Mottos versehen und machten aus der literarischen Unform, die nur den nächsten praktischen Zwecken gehorchte, esoterische ästhetische Gebilde, die der Verfasser später in dem Prachtband »Asozialistik« gesammelt herausgab. DICHTUNG ALS ELEMENT IST DAS TOTALE DER SPRACHBILDENDEN ORGANE IN IHRER REALISATION DER REPRODUKTION IHRER SELBST ALS DES SCHICKSALS konnte man da etwa lesen, manifestartig in Großbuchstaben gesetzt. Daß die Dichtung unmittelbar an die Artikulation, andererseits an das Schicksal geknüpft wurde, war für Imhoff bezeichnend und ist bis heute das Prinzip seines Schaffens geblieben.

  Während der Wiener Aktionismus in seiner Praxis blutig, in seiner Tendenz katholisch-dionysisch war, ging es hier um das Erbe des deutschen Idealismus. Zeitweise arbeitete Imhoff mit Silbenfolgen, den Urszenen der Artikulation: »lamt kalet rent zwed pin ser lers por are twet egw rers« – dieser pure Klang, über sechs Seiten ausgebreitet, bildet den Gehalt des »Erlösten Prometheus«. Das ging auf die Lautgedichte Marinettis und der europäischen Avantgarde zurück, vielleicht auf Jakob Böhme, der Sprache und Kosmos zu einer Einheit des Klangs und der Bedeutung zusammenschweißen wollte.

 »Die Main-Stadt hat nun ihre Form des Nicht-Theaters, die über das Anti-Theater weit hinausgeht«, berichtete diese Zeitung am 12. Februar 1968, als der »Erlöste Prometheus« aufgeführt wurde. Ein anderer Kritiker bemerkte »Sprache, gleichsam zu Kleinholz zerhackt«: »Der Vortrag ließ in seinem Ernst jedoch nicht nach, ganz als gelte es, wichtige Mitteilungen aus einem Dialektgebiet vom Nordhang des Himalaja pädagogisch einzuhämmern.« Tatsächlich hat sich Imhoff Jahre später dem Studium der altindischen Sakralsprache gewidmet und Gebete aus dem Vedischen übersetzt.

 Sein Werk – eine vollständige Zerstörung der Sprache und ihre ebenso vollständige Rekonstruktion, in eigens dafür gefundenen, strengen Formen – übernahm eine Aufgabe seiner Generation. Die ihre ersten Lebensjahre ohne ihre Väter verbrachten, die sie später wie Fremde begrüßen mußten, hatten eine ganze Dimension der Sprache und der Auseinandersetzung entbehrt; 1945 waren sie alt genug, um zu ahnen, daß nun ein neuer Diskurs gelernt werden mußte. In dieser Situation wurde Imhoff zum Dichter. Wenn er Prozesse an der Grenze zum Sprachchaos darzustellen vermochte, dann deshalb, weil er seinen Formbegriff geschärft hatte.

 »Und durch die Bücherschreiberei«, heißt es in einem Interview, »auf der Suche nach Form, bin ich in die Avantgarde gelangt. Übrigens nicht durch solchen Unfug wie über die Studentenbewegung, sondern über südamerikanische konkrete Poesie.« Entscheidend war die Form. Wie der Dichter das Leben der Boheme meidet und seit einem Vierteljahrhundert einem bürgerlichen Brotberuf in der Telekommunikation nachgeht, mit dem er seinen Verlag finanziert, so tragen seine Gedanken den Ausdruck strenger Fügung. Es sind Bahnen, in denen sich die Welt bewegt:


Ende März ein Tag, an welchem
sich mir auf der Strecke Frankfurt
am Main – Darmstadt
die Schienen als Götter verrieten.
 

  Bei seinen Aktionen pflegte er sich besonders gern dort einzufinden, wo der progressive Zeitgeist sich selbst feierte. Berühmt geworden ist sein Auftritt bei einer Veranstaltung des Suhrkamp Verlags, zu der er sich in Frauenkleidung Zugang verschafft hatte – man war vor dem Störer gewarnt worden und hatte Anweisung gegeben, ihn nicht hereinzulassen. Als der brave Günter Eich einen »vornehm linken Text« (der »Spiegel«) zum Vortrag brachte – »Ich wache auf und bin gleich im Notstand« –, hörte man von Imhoff den Zwischenruf: »Also, das geht doch schon mal nicht ... merkt ihr das nicht?«

 Imhoff brachte mit seinen wohldurchdachten Störungen die Lacher auf seine Seite. Als er am 14. November 1968 die Vorlesung von Habermas unterbrach,. er zog es allerdings vor, von der »Antrittsvorlesung Hans Imhoffs« zu sprechen – war die Szene eines höheren Lustspiels bereitet. »Heute fange ich ganz sokratisch an: Wen beschwörst du da eigentlich, o Wunderlicher? Bei Platon: o daimonie? Habermas blieb in dem Sprachspiel, das ihm von den SDS-Studenten vertraut war: »Was wollen Sie denn nun. Diskutieren wir doch.« Imhoff: »O je, dann hören wir lieber die Vorlesung weiter.« Nach kurzem Hin und Her ergab sich der folgende, denkwürdige Dialog: »Habermas: ›Da sich Herr Imhoff einem Mehrheitsbeschluß nicht beugen wird‹ – Imhoff (Habermas unterbrechend): ›Das ist aus der Zeitung, ich sehe, Sie haben sich vorbereitet. Vielleicht beuge ich mich doch.‹ Habermas lächelt für einen Moment, faßt sich wieder, vertagt seine Vorlesung und verläßt den Hörsaal. »Stimme eines höheren Studenten (der sich von seinem Platz erhoben hat, stark erregt): ›Aber Herr Professor, ich möchte Sie doch bitten zu bleiben.‹ (Im Saal Gelächter.) Imhoff (betroffen hinter Habermas herrufend): ›Bleiben Sie doch hier.‹ Das Schlußbild: »Imhoff packt den Zettel wieder weg und tritt ab, während die Studenten sich unschlüssig zu verlaufen beginnen. Es bilden sich diskutierende Gruppen.« Jede seiner Aktionen hat Imhoff später in Publikationen dokumentiert, die »Mitscherlich-Aktion« auch von Mitgliedern des Sigmund-Freud-Instituts kommentieren lassen. Zusammengenommen ergeben diese Schriften ein Sittenbild der späten sechziger Jahre, das an Intelligenz und schierer Komik seinesgleichen sucht.

  Wie sein Theater zum Nicht-Theater und seine Lesungen zu Nicht-Lesungen, so wurde naturgemäß auch der »Große Stuttgarter Vortrag«, gehalten am 5. Februar 1976. zum Nicht-Vortrag, den Imhoff benutzte, um sein Publikum zu examinieren: »Mein Vorbild ist Homer, Homer – was kommt dann? Na was kommt denn dann?« Der gastgebende Buchhändler Wendelin Niedlich glaubt sich zu erinnern: » ›Du hast gesagt vorhin, Euripides, em Äsop‹ – Imhoff: >Nee, nee, überhaupt, überhaupt sind meine Lieblingsdichter Aischylos, sonstige Leute. Also ich halte es mit den Alten, das will ich vorneweg sagen. Ich halte es mit den Alten.< « Aus, dem Publikum kommt die Frage: » ›Aristophanes auch?‹ Imhoff (verklärt): »Oooh-hchch, Aristophanes!«

 Nicht zufällig liegt hier die Betonung auf der Komödie. Das Problem, vor dem die Achtundsechziger standen – sie mußten die Verstrickung der Eltern und der Generation ihrer Lehrer zu den neuen Inhalten in ein Verhältnis setzen, die ihnen an der Universität aufgingen –, hat den Deutschen eine Literatur der Klage und Anklage, der Identifizierung mit den Opfern und neuerdings der Sentimentalisierung beschert. Imhoffs Werk ist das einzige – wer weiß, vielleicht das einzig mögliche –, welches das Wagnis eingeht, die inkompatiblen Erzählungen über die jüngste Vergangenheit ästhetisch zur Komö-die zu formen.

 Keine der blutigen Ideen des Jahrhunderts, die bei ihm nicht in krasserer Formulierung zu finden wäre, keine aber auch, die nicht Anlaß zu hoher Heiterkeit gäbe. An einer unscheinbaren Passage des Tonbandprotokolls seines Gesprächs mit dem Psychoanalytiker Dr. T. ist diese Heiterkeit abzulesen, dort, wo Imhoff von den Verhältnissen spricht: »Aber sie haben mir eben ein eh, ein, ein eh, heidisches Verhalten aufgezwungen, von dem ich nicht herunter kann. Soweit das also Schicksal ist, eh, ei-, ein Schicksal, das in die heutige eh, Gesellschaft schlechter reinpaßt, als eh, es reinpassen w0rde, eh, wenn Verhältnisse herrschen würden wie zur Zeit meiner Geburt – oder eines, s-, eh, eh, weiß ich, siegreichen Großdeutschland, oder was du auch nimmst...«

 Imhoffs Werke, die er bis heute in dreiundvierzig Bänden veröffentlicht hat – Gespräche, Gedichte und Kunstprosa, kürzlich auch den Bericht über seine Selbstkrönung zum Poeta laureatus – sind Fragmente eines großen aristophanischen Spiels über die Bundesrepublik. In neunzehn Szenen, 1986 unter dem Titel »Wahn und Wahr« publiziert, tritt das Stammpersonal auf, leicht verfremdete alte Bekannte: der »nicht mehr junge Mann«, der sich mit knarrender Stirnme zur deutschen Geschichte vernehrren läßt: »Wenn meine Informationen zutreffen – und ich habe eigentlich keiren Grund, daran zu zweifeln –, wonach HItler nach dem Endsieg in München ein gigantisches Denkmal für die deutsche Marine errichten lassen wollte, dann wäre er tatsächlich der große Mann, für den ich ihn immer gehalten habe.« Oder die Studentin im fortgeschrittenen Semester, »vornehme Bewegungen, Raucherin«: »Irgendwo dahinten müssen auch die ›Grundrisse‹ von Marx stehen, ein wunderschönes Buch, findest du auch?, in dem ich einmal mit Begeisterung gelesen habe; ich weiß allerdings nicht mehr, was drinsteht.« Keine Katastrophe findet in diese Komödie der Weisheit Eingang. Imhoff, der Dichter, ist Hans im Glück, und die Worte, die einmal verheerend wirkten, sind in Figuren gebannt.

 Man kennt die Symbiose der modernen Dichtung mit den Stimmverstärkern und Aufschreibsystemen der Epoche. Kafkas Verlobte Felice Bauer organisierte den Vertrieb des »Parlographen«; Ferdinand Hardekopf, ein Dichter an der Grenze zu Dada, war im bürgerlichen Leben Stenograph des Reichstags. Imhoff arheitet seit fünfundzwanzig Jahren im Fernmeldeamt – heute bei der Telekom –, wo er internationale Telefongespräche vermittelt.

 Frankfurt ist schon an sich die Stadt der Kommunikation: mit ihrem Flughafen, ihren Banken, ihren Zeitungen und mit der »Theorie des kommunikativen Handelns« von Jürgen Habermas. Im Herzen dieses Kommunikationsystems aber schaltet Imhoff, der unbekannteste aller Weltdichter, umrauscht von den Stimmen der Völker. Die TOTALE DER SPRACHBILDENDEN ORGANE, die er beschwor und zu seinem Schicksal erklärte – sie ist ihm nahe gekommen.